So machen Bauern mit Grünkohl fetten Gewinn

Die Welt vom 02.12.2012

 

Für Landwirte im Norden ist das Wintergemüse eine wichtige Einnahmequelle. Weil der Handel aber nur ein paar Cent pro Kilo zahlt, haben Bauern Zusatzgeschäfte entwickelt – auch für den Sommer. Von Birger Nicolai

 


 

Bauern sind sich nicht immer grün. "Fragen Sie einmal nach Mäusen im Grünkohl und was aus denen in der Erntemaschine wird", sagt Henrik Brandt. Die Spitze des jungen Landwirts aus Schleswig-Holstein bezieht sich auf einen Konkurrenten: einen Großbetrieb im Oldenburger Münsterland.

Während Bauer Brandt sein Gemüse nur mit der Hand pflückt ("Lebensmittel muss man anfassen"), mäht dort, in Langförden, ein Traktor den Grünkohl ab.

"Die Latzhosenfundamentalisten mit Sonnenblume am Hosenbund wissen nicht, wovon sie reden", gibt Rudolf Cordes zurück, während er am Feldrand seine Erntemaschine erklärt, die eine halbe Million Euro kostet. Bauer Cordes betreibt in Niedersachsen in zweiter Generation einen Hof, der im Winter locker mehr als 30 Tonnen Grünkohl am Tag erntet.

Und er entwickelt allerlei Kosmetik- und Gesundheitsprodukte rund um den Grünkohl – aus neuen Pflanzensorten, die er selbst auf seinem Hof züchtet.

 

Das Wintergemüse der Norddeutschen

Grünkohl ist vielen Deutschen fremd. Südlich der Main-Linie kennt kaum ein Koch das Wintergemüse. Mancherorts wird der Kohl gar als Hasenfutter verunglimpft oder als zu fett verschrien. Dabei kann der Grünkohl nichts dafür, dass er kulinarisch mit Schweinebacke, Kochwurst, Bier und Schnaps verheiratet ist. Ohne fettige Beigaben ist das grüne Kraut wegen der hohen Anteile an Senföl ("Sulforaphan") sehr gesund.

Und für norddeutsche Landwirte ist Grünkohl eine wichtige Einnahmequelle. Auf 1100 Hektar Fläche wird er angebaut, die Hälfte davon in Niedersachsen. Weil er ein Saisongemüse ist, gilt der Kohl unter den Bauern, ähnlich wie Erdbeeren, Kürbis oder Spargel, als vermarktungssicher.

Fast alles, was angebaut wird, findet in den Wochen zwischen November und Februar auch Abnehmer, rund 16.000 Tonnen waren es im vorigen Jahr. Dennoch steht der Preis wie bei vielen Nahrungsmitteln unter Druck. Die Bauern müssen sich daher etwas einfallen lassen, um mit ihrem Grünkohl ausreichend Gewinn zu erwirtschaften. Das tun sie auf ganz unterschiedliche Weise.

Einkehr im gemütlichen Hofcafé

In der Mitte Ehndorfs hängt im Glaskasten ein Aufruf der Bürgermeisterin Margret Kaschner. Sie lädt die Dorfbewohner zum Laubfegen ein, damit die Abwassersilos der Siedlung nicht verstopfen. Danach können sie im Hofladen der Familie Brandt einen Kaffee zum Aufwärmen trinken.

Und wer will, kann gleich noch einen Beutel Grünkohl aus der Tagesernte mitnehmen, für 1,80 Euro das Kilogramm oder für 80 Cent, wenn die Blätter noch am Strunk hängen.

Erntehelfer haben das Gemüse am selben Tag auf dem Feld mit der Astschere abgeschnitten, es mit Forken auf den Anhänger geladen und auf dem Hof mit der Hand die dunkelgrünen Blätter abgezogen. "Nach 40 Kilogramm ist Schluss, mehr schaffen die Arbeiter nicht. Dann sind die Finger zu kalt geworden", sagt Brandt.

Einen Teil der Ernte verkauft er frisch, den Rest kocht er auf, kühlt ihn herunter und bietet ihn als Tiefkühlgemüse an. Nach dem Blanchieren verringert sich das Volumen der Packung um zwei Drittel, und das mühsame Waschen zu Hause in der Küche entfällt.

Ein kleiner Hof statt "Knechtschaft der Raiffeisenbank"

Brandt, ein 35-jähriger gelernter Agrarbetriebswirt, hat sich bewusst gegen den Großbetrieb entschieden. Er hat seinen Hof auf 75 Hektar Größe fast halbiert, die Milchwirtschaft aufgegeben und seine Milchquote verkauft.

Um im harten Milchgeschäft mithalten zu können, hätte er den Betrieb nach der Übernahme vom Vater stark vergrößern müssen. "Ich wollte mich aber nicht bis zur Rente in die Knechtschaft meiner Raiffeisenbank begeben", sagt er.

Stattdessen hat er nun ein Hofcafé aufgemacht, nebenan einen Laden gebaut und mit der Zucht von Islandpferden begonnen. Kinder kommen hierher, viele von ihnen fassen zum ersten Mal eine Kuh oder ein Schwein an.

Grünkohl-Pizza für die Kunden von morgen

In der Bullerbü-Romantik zwischen Ententeich und Stall lernen sie, dass der Kochschinken auf dem Pausenbrot nicht im Supermarkt gemacht wird. Extra für seine kleinen Kunden hat sich Bauer Brandt eine Grünkohlpizza ausgedacht, die Eltern zahlen dafür gern.

Noch auf knapp drei Hektar Ackerfläche baut Bauer Brandt Grünkohl an. Saisonbeginn ist für ihn nach dem ersten Frost im November. "Danach ist der Kohl milder und aromatischer", sagt er. Tatsächlich steigt der Zuckergehalt im Gemüse bei Kälte.

Auf dem Feld gepflückt und roh probiert, schmecken die Blätter nach Kohlrabi und sind sehr zart. Im Winter wird auf Brandts Hof jede Woche groß gekocht: Zum Eisfest oder beim Weihnachtsbaumverkauf gibt es Grünkohlsuppe. Und natürlich bietet das Hofcafé auch gekochten Grünkohl an.

Tonnenweise Gemüse aus der Tiefkühl-Fabrik

Mit solchem Kleinkram gibt sich Brandts Wettbewerber Rudolf Cordes nicht ab. Er bekommt zwar nur 18 Cent für ein Kilogramm Grünkohl, das seine Trecker am Tor der Genossenschaft Erzeugergroßmarkt Langförden-Oldenburg (ELO) abliefern. Doch bei ihm macht es die Masse.

Zwischen 4000 und 5000 Tonnen verarbeitet die Fabrik in einer Grünkohlsaison, mehr als 100 Millionen Euro Umsatz erzielt die ELO in diesem Jahr. Den 18 Cent für den Bauern stehen 70 Cent bis ein Euro gegenüber, die Handelsketten wie Rewe, Lidl oder Edeka für fertige Tiefkühlware zahlen. Bekäme Bauer Cordes den Preis des Kollegen Brandt für seinen Hofladen-Grünkohl, wäre er längst Millionär.

Mehr als einen Meter hoch wachsen seine "Oldenburger Palmen", wie die Grünkohlpflanzen hier heißen, auf den Feldern. Geerntet fahren sie gleich hinter dem Fabriktor der ELO über meterbreite Förderbänder in die Waschanlage. Dort durchsuchen Scanner die Ware, erkennen Stängel, Zweige und andere Teilchen, die nicht in den Kohltopf gehören. Luftdruck-Düsen pusten die Teile in ein Auffangbecken.

Maschinen sortieren alle Fremdkörper aus

"Durch die Waschanlage kommt nichts, was nicht hindurch gehört", ist sich Cordes sicher – auch kein Mäuseschwänzchen, sollte das Tier denn auf dem Feld in den Traktor geraten sein. Exakt drei Minuten lang wird der Kohl auf 92 Grad erhitzt, danach gekühlt und gefrostet.

Zigtausend Tiefkühlpackungen für Discounter und Supermärkte spuckt die Fabrik jeden Tag aus, Hunderte Restaurants bekommen den Grünkohl in Zwei-Kilogramm-Beuteln. Läuft alles glatt, liegt das Gemüse spätestens drei Stunden nach der Ernte steif gefroren in der Packung.

Acht Kühlhäuser in der Umgebung hat die Genossenschaft für die Saison hinzugemietet, um die Ware vorübergehend lagern zu können. "Wenn eine Firma wie Aldi oder Lidl Kunde ist, sind die Anforderungen hoch. Ein einziges entdecktes falsches Teil, und wir können den Laden dichtmachen", sagt Bauer Cordes.

Grünkohl baut die Familie seit 60 Jahren an

Seit den 50er-Jahren züchtet seine Familie Obst und Gemüse im Oldenburger Münsterland. Mit rund 5000 Hektar ist die Region das größte zusammenhängende Anbaugebiet für Erdbeeren, Himbeeren und Kohlgemüse in Deutschland.

"Immer wenn die Preise in den Keller gegangen sind, mussten wir uns etwas Neues einfallen klassen", sagt der 61-jährige Cordes. In drei Jahrzehnten hat es die Familie mit 35 verschiedenen Kulturen auf ihren schweren Ackerböden versucht. Mehrere Obstsorten waren darunter, Grünkohl war immer dabei.

Der gelernte Gartenbauingenieur lebt damit, dass er als Erzeuger "zu 100 Prozent vom Lebensmitteleinzelhandel abhängig" ist. Der Handel bestimmt den Preis. Ein Teil der Ernte wird nach Skandinavien exportiert: Auch Dänen lieben Grünkohl – mit geräucherten Shrimps oder anderem möglichst salzigem Fisch. Abgepackt wird der Kohl in einer Fabrik in Frederikshavn, extra für die Nordländer in kleinen, portionierten Bällchen.

Neue Züchtungen schmecken auch vor dem Frost

Wenn es nach Cordes geht, braucht Grünkohl übrigens gar keine Minusgrade mehr, bevor er geerntet wird. Die neuen Züchtungen schmecken schon vor dem ersten Frost mild und lecker, sagt er. Cordes hat mit seiner Firma Agrinova Saatgut außerdem eine Sorte aus Kreuzungen mit Brokkoli entwickelt, die besonders viel Sulforaphane enthält.

Forscher schreiben diesem Stoff eine Tumorzellen hemmende Wirkung zu – sie kommt damit als Unterstützung etwa einer Chemotherapie bei Bauchspeicheldrüsen- oder Darmkrebs infrage. Auf mehreren Hektar baut Cordes seine "Brassica"-Keimlinge bereits an und verkauft deren Extrakt in Form von dunkelgrünen Kapseln.

Als Medizin darf er das Produkt nicht bewerben, die Wirkung seines Hausmittels ist zu wenig erforscht. Immerhin kann er aber darauf verweisen, dass die Pflanze traditionell als Heilmittel eingesetzt wird – Kohlwickel sind ein bekanntes Beispiel.

Grüne Kapseln als Hausmittel gegen Krebs

Cordes’ Konzentrat aus "sekundären pflanzlichen Inhaltsstoffen" des Grünkohls, wie es korrekt heißt, findet seine Kundschaft. So macht der Bauer mit wenigen Kilogramm seiner Kapseln so viel Umsatz wie mit ein paar Hundert Tonnen Grünkohlgemüse.

Er ist sich sicher, dass die nächste Generation auf dem Hof nicht mehr vom Acker abhängig sein wird: Seine drei Töchter sollen von medizinischen und kosmetischen Produkten aus Kohl oder Mikroalgen leben, seine eigenen Firmen arbeiten daran.

Selbst wenn sich Familie Cordes aus dem Massengeschäft verabschieden sollte, wird den Norddeutschen der Grünkohl nicht ausgehen. Denn Landarbeiter aus Polen, die zur Ernte in Langförden arbeiten, haben den Anbau in ihr Land mitgenommen. Normalerweise leben in Langenförden 4000 Einwohner, in der Erntezeit sind es bis zu 8000 Menschen.

Bauer Brandt dagegen kommt mit einer Handvoll Arbeitskräften aus. Statt der Billig-Konkurrenz treibt ihn eine andere Sorge um: Gerade musste er seine Grünkohlfelder einzäunen – die Rehe sind auf den Geschmack gekommen.

Landwirtschaft muss nicht langweilig sein

Kieler Nachrichten vom 11.11.2012

 

Auf dem Bauernhof lässt sich der Umgang mit Pflanzen und Tieren besonders gut lernen. Susanne Zett (Wasbek), hier mit Michael Biehl und den Kindern Naima (links) und Katharina, hat ein Zertifikat für erlebnispädagogische Angebote.

© Sven Hornung

 

 

Kiel. Glücklich hält Susanne Zett ihr Zertifikat in den Händen. Sie ist eine von elf Teilnehmern des „Überregionalen Bauernhofpädagogikkurses“ in „Kochs Bauernhof“ in Wangelau (Kreis Herzogtum-Lauenburg). Die Zusatzqualifikation befähigt sie, hochwertige erlebnispädagogische Angebote auf Höfen anzubieten.

 

 „Der Bauernhof ist wieder ein attraktiver Ort für unterschiedliche Alters- und Zielgruppen geworden“, sagt Heiderose Schiller, Lehrgangsleiterin und Beraterin für Einkommenskombination bei der LKSH. „Unser Bestreben war es immer, Unternehmen auf die Beine zu stellen, die nicht von Subventionen abhängig, sondern klar marktwirtschaftlich orientiert sind.“

 „Kochs Bauernhof“ ist ein gelungenes Beispiel für einen Betrieb, der sich den Herausforderungen des Strukturwandels in der Landwirtschaft bereits im Jahr 1993 stellte. Besitzerin Christine Hamester-Koch gilt als Pionierin der Bauernhofpädagogik. Sie organisierte schon früh Erlebnistage für die Kleinsten, Kindergeburtstage, Jahreskurse und Hofführungen für Kindergartengruppen und Schulklassen. Seit 2005 leitet sie als Hauptreferentin die Basis- und Aufbaukurse der LKSH und ist als Beraterin für Agrarpädagogik mit Heiderose Schiller bundesweit sowie im Ausland unterwegs.

 In anderen Bundesländern werden zwar ähnliche Projekte durchgeführt, sie sind aber oft zeitlich begrenzt. „Das Ministerium stellt dann einen Fördertopf für Landwirte bereit und lockt sie damit, Öffentlichkeitsarbeit zu machen“, sagt Hamester-Koch. In Schleswig-Holstein hat sich dagegen bei zahlreichen Bauern ein echter Betriebszweig entwickelt. Rund 150 Landwirte bieten flächendeckend erlebnispädagogische Angebote an, die sie direkt vermarkten.

 „Wir haben den Kunden von Beginn an vermittelt, dass die Leistungen Geld kosten“, so Schiller. Die Qualifizierungskurse finanziert die LKSH durch Teilnahmegebühren sowie aus Mitteln des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des Ländlichen Raums.

 Susanne Zett arbeitet als Aushilfe auf dem Islandpferde- und Erlebnisbauernhof in Wasbek. Mit dem Zertifikat in der Tasche wird sie das Team bald hauptberuflich verstärken. „Ich bin wirklich begeistert, mein Chef hat nicht zu viel versprochen“, sagt die 31-Jährige. Ihr Chef, Henrik Brandt, war 2005 kurz davor, seinen Milchvieh- und Ackerbaubetrieb aufzugeben. Eher zufällig nahm er an dem Kursus der LKSH teil – und richtete seinen Betrieb danach neu aus. „Wir sind explosionsartig gestartet“, sagt Brandt.

 Neben dem Reitunterricht vermittelt er Grundkenntnisse im Umgang mit Pflanzen und Tieren, erklärt landwirtschaftliche und biologische Zusammenhänge. „Eigentlich alles, was früher als Allgemeinbildung vorausgesetzt wurde“, sagt der 35-Jährige. Das Geschäft brummt. Die Nachfrage ist größer, als Brandt bedienen kann.

Die Zeit ist für Grünkohl reif

SHZ vom 27.10.2012 von Günther Böge

Ehndorf. Mit dem ersten Herbstfrost in der Nacht zu gestern hat die Grünkohlzeit begonnen. "Wir hatten so um die Minus 2,5 Grad", berichtete Gundula Brandt (Foto), die Mutter des Hofladen- und Cafébesitzers Henrik Brandt aus Ehndorf. Allerdings hat Väterchen Frost entgegen der weit verbreiteten Meinung keinen großen Einfluss mehr auf den Geschmack des Kohls. "Neue Züchtungen sind auch ohne Minustemperaturen schmackhaft", sagte Gundula Brandt.

Wer die Zeit der ersten kalten Nächte nicht abwarten konnte, schob den Vitamin-C-Spender und Lieferanten wertvoller Mineralien, wie zum Beispiel Kalium, Kalzium, Magnesium und Eisen, einfach für eine Nacht in die Tiefkühltruhe. Unbestritten ist, dass bei niedrigen Temperaturen der Zuckergehalt der Pflanze steigt. Das hat den typischen milden und süßlichen Geschmack zur Folge.